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Wenn Wohnen zum Albtraum wird

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Geht’s nicht noch weiter hinten? Die Notlage am Wohnungsmarkt wird im Sondierungspapier der großen Koalition auf Seite 23 von 28 behandelt. Das sagt schon alles. Offenbar hat niemand von den Beteiligten mal in einer Masse von Leuten gestanden, die sich um eine lumpige Altbauwohnung im Erdgeschoss ohne Licht und Komfort bewerben. Oder die 50 Euro Eintritt nur für die Besichtigung zahlen.

Das sind die Anzeichen der heraufziehenden deutschen Wohnungskatastrophe. Noch können viele in der Stadt wohnen. Aber wehe, der Umzug droht – oder die Mieterhöhung flattert ins Haus. Das Problem wird von Linken gern auf die Mieten reduziert und von Rechten oft ganz ignoriert. Deutsche Städte haben schlicht und einfach zu wenig Wohnraum. Das ist keine Überraschung, sondern eine seit zwanzig Jahren hausgemachte deutsche Misere.

Die beginnt nicht mit Mieten oder Miethaien, die es leider zuhauf gibt, sondern beim Privateigentum – oder besser beim Mangel desselben. Leider ist es so, dass das reiche Deutschland viele Bürger hat, die viel, viel ärmer sind als Italiener oder Griechen. Denn letztere kaufen sich, sobald sie irgend können, eine Wohnung auf Kredit, oft schon in jungen Jahren. Deutsche nicht. Warum? Weil deutsche Wohnungspolitik das systematisch verhindert durch Auflagen und Steuern. Hierzulande ist das Mieten seliger denn Besitzen. Kaufen, heißt es, sei was für Reiche. Daraus folgt: Nur Mieter würden Schutz verdienen, nicht Käufer. Solche Kurzschlussweisheiten schaffen paradoxerweise Ungleichheit, treiben Wohnungspreise, befördern Gentrifizierung.

Schauen wir uns an, was jemand erleben muss, der zum ersten Mal im Leben eine Wohnung oder ein Häuschen kauft. Zusätzlich zum Kaufpreis zahlt er Grunderwerbssteuer, die in kaum einem anderen Land so hoch ist wie in Deutschland, bis zu 6,5 Prozent. Er zahlt vierstellige Gebühren an Grundbuchämter und Justizkassen. Er entlohnt den Notar und den Makler – oft fünfstellig. Verkauft er die Wohnung, will er das natürlich wieder haben. So steigen Wohnungspreise. Gegen Neubauten, die wir in der Wohnungskrise so dringend brauchen, haben die Gemeinden obendrein eine abschreckend hohe Grundsteuer verhängt.

Bei den eigenen vier Wänden langt der Staat also kräftig zu. Gibt er auch was zurück? Nicht einen Cent. Wer in der eigenen Wohnung lebt, darf nichts von der Steuer abziehen, weder Kreditzinsen noch Renovierung noch irgendetwas. Das war mal anders. In den 1960er und 1970er Jahren, als Wohnraum auch schon knapp war, betrieb der Staat sozialen Wohnungsbau. Für Käufer spendierte er die „7b-Abschreibung“, dazu Kindergeld fürs Bauen, später die Eigenheimzulage. In den 1980er Jahren senkte die Regierung gezielt die Grunderwerbssteuer. Man baute und förderte Eigentum – und überwand die Wohnkrise.

Heute sehen die Gemeinden Eigentum als bequeme Melkstelle in Zeiten von Rekordsteuereinnahmen an. Die Behörden treiben die Kosten durch immer neue Auflagen für Wärmedämmung und Brandschutz. Die Gemeinden verkaufen Bauland zu Höchstpreisen. Kein Wunder, dass sich Neubauten nur noch als Luxuspaläste lohnen.

Gefördert werden nur jene, die ihre Wohnung vermieten. Sie dürfen ihre Ausgaben beim Finanzamt von ihren Einnahmen abziehen. Das ist nicht falsch, weil das Wohnraum schafft, nur fallen die Selbstnutzer durch den Rost. Der größte Skandal aber: Nur wer Milliarden umsetzt, wird massiv gefördert. Wohnungsbaukonzerne gründen beim Kauf von Wohnhäusern Fantasiefirmen, in deren Namen sie kaufen und am Ende gar keine Grunderwerbssteuer zahlen. Dafür ist die Dividende hoch.

Für all den Irrsinn gibt es Gründe. Vor zwei Jahrzehnten ließen sich Politiker von Demografen einreden, Deutschland würde schrumpfen, auch die Städte. Eine fatale Voraussage. Es folgte die fatale Politik, Eigentumserwerb mit Steuern und Auflagen zu erschweren. Wegen der hohen Preise können sich heute viel zu wenige Menschen eine Wohnung leisten. Sie werden in Mietabhängigkeit gehalten. Vor Wahlen diskutieren die Parteien dann gern über Mietpreisbremsen – ergebnislos. Die Mieten steigen trotzdem, die Wohnungen gehen nur noch unter der Hand weg, einfach weil es nicht genügend Wohnraum gibt.

Wie Wohnungspolitik aussehen sollte

Das Schlimmste: Es kommt zu Verdrängung, weil die Leute nicht in der eigenen Wohnung wohnen. Deshalb der brutale Bevölkerungsaustausch in deutschen Großstädten. Am Prenzlauer Berg in Berlin wohnt heute kaum einer, der da schon 1992 lebte. Damals waren eben alle nur Mieter.

Wenn man mal träumen dürfte, sähe eine künftige Wohnungspolitik der großen Koalition und der Gemeinden ganz anders aus: Wer zum ersten Mal im Leben eine Wohnung kauft, der zahlt wenig bis null Steuern und Discount-Nebenkosten. Auch als Selbstnutzer darf er die Ausgaben beim Finanzamt absetzen. Die Grundsteuer zahlt er nur auf den Boden, nicht auf den Hauswert. (Dann lohnt sich die in der Wohnkrise geradezu kriminelle Spekulation mit leeren Grundstücken nicht mehr.)

Und weiter im Traum: Um sozial Schwächere zu schützen, werden Staat und Städte aktiv. Sie machen Schluss mit der Steuerbefreiung für große Wohnungsbaukonzerne. Sie verkaufen stadteigenes Bauland für preiswerte Wohnungen unter Marktpreis. Sie steigen wieder ein in den sozialen Wohnungsbau. Für die vielen, die unter dem staatlich angeheizten Preisanstieg des letzten Jahrzehnts leiden.

Um den Albtraum der Wohnkrise zu beenden, braucht es also linke und liberale Ideen: sozialen Wohnungsbau (auch gern mal in den besseren Vierteln, bitteschön!) und die Förderung von Eigentum. Scheint in der Mischung paradox, aber wirkt: gegen steigende Mieten und gegen Gentrifizierung. Denn wer als sozial Schwacher geschützt ist oder wer mit etwas mehr Geld in der eigenen Wohnung lebt, den vertreibt keiner mehr.

Quelle: Die Zeit

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von factum
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